Nanopartikel dringen auch ins Gehirn vor
Synthetische Nanopartikel können Gewebe und Zellen
durchdringen und sich im ganzen Körper ausbreiten – sogar im Gehirn.
Professor Peter Gehr von der Universität Bern – ein international
renommierter Gewebespezialist – ist erstaunt darüber, dass man die
möglichen Gesundheitsrisiken ausserhalb der Wissenschaft und Verwaltung
kaum zur Kenntnis nimmt.
Was sagen Sie zu Studien, die nahelegen, Nanoröhrchen aus Kohlenstoff seien so gefährlich wie Asbest?Von
Asbestfasern ist bekannt, dass sie an der äusseren Lungenoberfläche zu
krebsartigen Veränderungen führen können. Es gab nun Tierversuche mit
synthetischen Kohlenstoffröhrchen, die von ihren Dimensionen her ähnlich
strukturiert sind. Bei Experimenten in der Bauchhöhle von Mäusen kam es
durch die eingeführten Partikel tatsächlich zu geschwulstartigen
Vergrösserungen, die als Krebsvorläufer gelten. Hingegen bewirkten
Kohlenstoffröhrchen, deren Form und Grösse nicht mit Asbestfasern zu
vergleichen sind, keine solchen Veränderungen.
Ist dieses Ergebnis beruhigend oder besteht Anlass zur Sorge?Ich
habe gegenüber Nanoröhrchen aus Kohlenstoff grundsätzliche Bedenken –
und zwar unabhängig von ihrer Form. Die Vorstellung, nano- oder
mikrometergrosse Röhrchen einatmen zu müssen, macht mir Angst. Von
solchen Szenarien sind wir übrigens gar nicht so weit entfernt. An einem
Nanotechnologie-Kongress in Japan hat man kürzlich Pneus vorgestellt,
denen Nanoröhrchen aus Kohlenstoff eine erhöhte Widerstandsfähigkeit
verleihen sollen. Angenommen, alle Autos wären mit solchen Reifen
unterwegs, hätten wir tatsächlich ein Problem. Der Gummi und die darin
eingeschlossenen Nanopartikel werden abgerieben, verwittern und die
Kohlenstoffröhrchen gelangen in die Luft. So unrealistisch ist diese
Vorstellung nicht.
Bereits heute ist unsere Atemluft ja
mit Feinstaub belastet. Wirken sich diese Partikel anders auf unsere
Gesundheit aus als industriell hergestellte Nanopartikel?Nein,
denn das Hauptproblem beim Eindringen von festen Partikeln in unseren
Organismus ist ihre Grösse. Sie ist viel wichtiger als die Form oder Art
des Materials, aus dem sie hergestellt sind, wie wir an unserem
Institut nachweisen konnten. Sogenannte PM10-Partikel, die viele
Nanoteilchen enthalten, unterliegen beim Einatmen alle demselben
physikalischen Mechanismus. Sie werden benetzt und dann in die Tiefe
gegen das Lungengewebe verschoben.
Ist Feinstaub diesbezüglich also gleich gefährlich wie künstliche Nanopartikel?Das ist praktisch dasselbe!
Wie problematisch ist der Nachweis von Nanopartikeln im Gehirn?Wir
konnten in meinem Labor mithilfe von modernsten Mikroskopen zeigen,
dass Nanopartikel in der Lunge die Luft-Blut-Schranke überwinden. Analog
dazu können sie über die Blut-Hirn-Schranke auch ins Gehirngewebe
gelangen, wie Forscherkollegen in Tierversuchen anhand von radioaktiven
Substanzen nachgewiesen haben. Es handelt sich dabei zwar um
verschwindend kleine Mengen, aber das sind doch Abertausende von
Nanopartikeln, die auf diesem Weg ins Gehirn vordringen.
Könnte dies zu Schädigungen führen?Ich
kenne die Arbeit einer Kollegin, die in Mexiko City aufgewachsen ist
und dann in den führenden Zentren für Umweltforschung in den USA
gearbeitet hat. Sie hat Gehirne von Menschen untersucht, die an
Alzheimer gestorben sind. Diese verglich sie mit dem Hirngewebe eines
jungen Mannes, der sein Leben lang an einer dicht befahrenen Strasse in
Mexiko City gewohnt hatte und dann bei einem Unfall ums Leben kam. Ich
werde die verblüffenden Parallelen dieser Hirnaufnahmen nie mehr
vergessen. In beiden Fällen zeigten sich dieselben entzündlichen
Veränderungen des Hirns – sogenannte Beta-Amyloid-Platten –, die als
Vorstufe von Alzheimer gelten. Sehr zugespitzt könnte man daraus
folgern, die Luftverschmutzung führe zu Alzheimer.
Steht das fest?Nein,
für den Moment sind das Hypothesen. Aber es stellen sich tatsächlich
verschiedene Forscher die Frage, ob die Umweltverschmutzung nicht eine
Ursache von Alzheimer sein könnte. Wäre dies der Fall, dann mit grösster
Wahrscheinlichkeit durch die Inhalation von Partikeln, die ins Blut
gelangt sind und die Blut-Hirn-Schranke überwunden haben.
Quelle: http://www.bafu.admin.ch/dokumentation/umwelt/10649/10659/index.html?lang=de